Mein Name ist Yvonne (Vonni), ich bin 40 Jahre alt und Mutter eines erwachsenen Sohnes.
Meine Geschichte begann 2015 mit dem Besuch bei meiner Gynäkologin. Da ich lange die Pille genommen hatte, wollte ich einfach nur abklären lassen, ob es problemlos möglich wäre, schwanger zu werden. Dabei wurde gleich die alljährliche Krebsvorsorge mitgemacht, also gynäkologische Untersuchung und Abstrich. Da ich früher nie Probleme damit hatte, habe ich mir natürlich keine Gedanken gemacht.
Bis DER Brief im Briefkasten lag, natürlich an einem Freitag Mittag, an dem die Praxis geschlossen hat. In diesem Schreiben teilte man mir mit, dass der Abstrich auffällig war und ich mich bitte in der Praxis melden sollte um einen neuen Termin auszumachen. Das tat ich am Montag natürlich dann auch gleich.
Zu diesem Zeitpunkt war mein PAP-Wert bei 3D2, damit konnte ich allerdings zu diesem Zeitpunkt nichts anfangen. Ich sollte innerhalb von 6 Wochen noch einmal einen Abstrich machen lassen um auf Nummer sicher zu gehen. Diesmal bekam ich allerdings einen Anruf, dass ich umgehend in die Praxis kommen soll. Dummerweise war ich etwas früher da, so dass ich ein Gespräch zwischen der Ärztin und der Angestellten mitbekam. Daraufhin habe ich mich aber gleich bemerkbar gemacht und wurde ins Arztzimmer gebeten.
Meine Werte hatten sich verschlechtert und mittlerweile hatte ich einen PAP 4 a-p. Okay, 4 ist mehr als 3, aber mehr habe ich davon im ersten Moment auch nicht verstanden. Die Ärztin teilte mir mit, dass ich schnellstmöglich einen Termin in einer Dysplasiesprechstunde bräuchte um von den Fachärzten nochmal nachschauen zu lassen. Da ich total überfordert war, bot sie mir an, diesen Termin für mich auszumachen. Da die Uniklinik Jena innerhalb von zwei Wochen schon einen Termin frei hatte, war das die Wahl die getroffen wurde. 160 km einfache Fahrzeit bis dorthin, aber es ging schließlich um meine Gesundheit.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie unsicher und voller Angst ich war, als ich heim kam. Dann noch zwei Wochen Wartezeit bis zum Termin, das war für mich kaum aushaltbar. Glücklicherweise war die Ärztin in der Dysplasiesprechstunde sehr einfühlsam und hat alles in Ruhe erklärt, so dass ich als Laie auch verstanden habe, was genau jetzt passiert. Aufgrund der schnell verändernden Werte hat sie eine Kolposkopie gemacht, das ist eine Untersuchung mit einem speziellen Mikroskop, bei der die betroffenen Flächen mit Essigsäure- oder Jodlösung eingepinselt werden. Dabei wurde gleich noch eine Biopsie gemacht und ich wurde wieder voller Ungewissheit nach Hause geschickt.
Als die Ergebnisse dann vorlagen, wurde ich wieder zu einem Termin einbestellt. Dabei erklärte sie mir, dass eine Konisation notwendig sei um das krankhaft veränderte Gewebe zu entfernen. Ich dachte mir dabei nur Koni-was? Zum Glück erklärte sie es mir sehr gut. Eine Konisation ist ein etwa kirschgroßer, kegelförmiger Ausschnitt des Gebärmutterhalses der ambulant entfernt wird.
Das Jahr 2016 fing ja schon gut an… Glücklicherweise verlief der Eingriff recht gut und mir ging es schnell wieder gut, so dass wir nach Hause konnten. Leider war dabei nicht alles entfernt worden, so dass mir die Ärztin eine Re-Koni, also eine erneute Konisation ein Stück weiter oben, empfahl. Da ich natürlich alles machen wollte, was es mir ermöglichte noch ein Kind zu bekommen, stimmte ich auch diesem Eingriff zu.
Doch leider brachte auch dieser nicht die mögliche Erleichterung, denn es konnte immer noch nicht das ganze kranke Gewebe entfernt werden. Deshalb bat mich die Ärztin zu einem erneuten Gespräch um die Möglichkeiten abzuwägen. Sie wusste ja, wie groß mein Kinderwunsch war und wollte mir die Entscheidung überlassen, für welche Operationsmöglichkeit ich mich entscheiden würde.
Folgende Möglichkeiten hatte ich:
- Trachelektomie
Die Trachelektomie ist ein operativer Eingriff zur Entfernung eines Großteils des Gebärmutterhalses, danach besteht die Chance noch schwanger werden zu können. - Hysterektomie
Als Hysterektomie (Gebärmutterentfernung) bezeichnet man die operative Entfernung der Gebärmutter. Bei der radikalen Hysterektomie werden außerdem noch die Eileiter, der Gebärmutterhals, der obere Bereich der Vagina und einige Lymphknoten entfernt.
Ich kann gar nicht in Worte fassen wie unfassbar schrecklich diese Diagnose und die Entscheidung dazu war. Mein Kinderwunsch war riesig, denn ich wollte nie, dass mein Sohn als Einzelkind aufwächst.
Während wir in der Klinik zur Besprechung waren, hatte sich mein Sohn Zuhause an den Computer gesetzt um sich alle Informationen zu beschaffen. Als ich ihm erzählte, was die Ärztin gesagt hat, stellte er die alles entscheidende Frage:
Mama, was will ich mit einem Geschwisterchen, wenn du dann nicht mehr am Leben bist?
Luca, 13 Jahre alt
Es zerriss mir beinahe das Herz, ihn so zu sehen, auf einmal so erwachsen. Er sprach das aus, was ich nicht wahrhaben wollte. War mein Kinderwunsch wichtiger als mein Leben? Natürlich nicht. Trotzdem fiel es mir unsagbar schwer, mich für die radikale Variante zu entscheiden und damit meinen Kinderwunsch zu begraben.
Bevor ich allerdings operiert werden konnte, standen noch einige Untersuchungen an, die ich alle über mich ergehen ließ. Glücklicherweise gab es laut Ct und MRT keine Metastasen und der OP stand nichts im Weg. Einen Tag vor meinem 33. Geburtstag wurde ich also mit Roboter DaVinci laparoskopisch operiert. Das war mein Glück, denn die Gebärmutter war wohl mit der Blase verwachsen und der Roboter half dabei, die Blase komplett zu erhalten.
Vor der OP bekam ich glücklicherweise einen Schmerzkatheter, über den ich sehr dankbar war, denn die Schmerzen waren wirklich unerträglich. Ich fühlte mich wie eine Oma nach einem Autounfall, musste das Laufen erst wieder mit Hilfe des medizinischen Personals lernen und verfluchte im Stillen oft den Auslöser von allem.
Ich war noch nie so froh, als ich nach 10 Tagen endlich nach Hause gehen durfte. Was für ein Luxus war es doch im eigenen Bett einzuschlafen und eine Nacht ohne Gepiepse durchzuschlafen.
Die Ärzte waren sehr zufrieden mit der Genesung und ich durfte nach einer Weile auch schon zur Anschlussheilbehandlung fahren. Dort war ich mit Abstand die jüngste Patientin, in meinen Augen aber auch die unfitteste. Das machte mir sehr zu schaffen, da ich davor sehr sportlich war. Mein Ziel war es jedoch, schnellstmöglich fit zu sein um alles hinter mir lassen zu können. Ich wollte nach Vorne schauen.
Dabei überschätzte ich mich total, ging viel zu früh in die Wiedereingliederung, welche ich nach kurzer Zeit abbrechen musste. Denn eins hatte ich vollkommen vergessen und verdrängt, meine Seele wollte auch heilen und das kann sie nur sehr langsam.
Also versuchte ich mich mit dem Fußballtraining der Kids abzulenken, stand mehrmals in der Woche auf dem Fußballplatz, organisierte Trainingsangebote und die komplette Jugendabteilung als Abteilungsleiterin. Außerdem ging ich zur Psychologin und tat mein Bestes um alles hinter mir zu lassen. Bis ich Schmerzen im Unterbauch bekam und die Angst wieder hervorkroch. Glücklicherweise war es dann aber kein Krebs, sondern mein Eierstock, der den Geist aufgegeben hatte und sich an den Darm gesetzt hat. Also folgte auch hier eine Operation, bei der ein Stück Darm entfernt wurde. Nach diesem Eingriff ging es für mich dann zur Reha.
Doch dort bekam ich plötzliche Schmerzen im Becken und Rücken, so starkt, dass ich nicht mehr wirklich laufen konnte. Leider bekam ich in der Rehaklinik nur Spritzen gegen die Schmerzen, sonst wurde nichts in die Wege geleitet. Zuhause jedoch schickte mich mein Hausarzt sofort zum CT und Knocheszintigramm. Das ergab leider eine auffällige Raumforderung im Beckenknochen. Mit diesem Befund ging es dann wieder in die Uniklinik und es folgten zahlreiche Untersuchungen sowie zwei Biopsien, bis ich Gewissheit hatte.
DER KREBS WAR ZURÜCK!
Diese Erkenntnis traf mich mit voller Wucht, auf einmal sprachen die Ärzte von Chemotherapie, Bestrahlung und dem Schlimmsten überhaupt: Palliative Therapie
Ich hatte allerdings das Gefühl, keine Kraft für die kommende Therapie zu haben, sei es für die Chemotherapie oder eben auch die dadurch aufkommenden Nebenwirkungen. Deshalb entschied ich mich dafür, erstmal Urlaub mit meiner Familie zu machen, bevor es in den Krebsalltag ging. In der Türkei sammelte ich Kraft für alles was da kommen mochte, ich konnte wirklich gut abschalten, es mir gut gehen lassen und die Zeit mit meiner Familie genießen.
Kaum zurück in Deutschland begann die Therapie. Insgesamt 18 Termine für die Chemotherapie, 1x pro Woche und im Anschluss daran noch 5 Wochen Bestrahlung von Montag bis Freitag.
Es war auf jedenfall kein Spaziergang, ich musste jede Woche ins 160 km entfernte Jena mit dem Taxi fahren um meine Chemotherapie bekommen zu können. Um diese Zeit durchstehen zu können, habe ich mir jede Woche ein Ziel gesetzt, mal kleinere und auch ein paar größere. Darauf habe ich hingearbeitet und ich habe sie alle erreicht. Ich war auch zwei Polterabenden, einer Hochzeit, im Sommerurlaub und auch mal ein Eis essen. All das hat geklappt und ich war sehr stolz auf mich.
Mit Ende der Chemotherapie haben wir dann beschlossen, noch einmal mit meinen Eltern in die Türkei zu fliegen, denn ich wollte Zeit mit meiner Familie verbringen und nochmal Kraft tanken für die anstehende Bestrahlung. Und auch das hat geklappt. Die Zeit in der Türkei war wichtig für mich und hat einfach gut getan.
Zurück in Deutschland ging es weiter mit der Therapie und die Bestrahlung begann. Müdigkeit war mein täglicher Begleiter, aus dem Haus gehen schwierig. Zum Glück hatte ich auch hier wieder einen Taxifahrer, der mich jeden Tag Zuhause abgeholt hat um zur Bestrahlung zu fahren.
Und dann kam der Tag, an dem die Therapien zu Ende waren. Bis zur Kontrolle sollten 3 Monate vergehen, bis dahin wusste ich nicht, ob die Therapie gewirkt hat oder nicht. Das war Wartezeit, die schwer aushaltbar war. Doch glücklicherweise bekam ich bei der Kontrolle die Entwarnung. Kein neuer Krebs in Sicht und die Metastase im Becken war verkapselt.
Seit dieser Zeit bekomme ich alle drei Wochen meine Antikörpertherapie als Erhaltungstherapie plus zusätzlich alle 12 Wochen Biphosphonate (XGeva). In meinem Fall hält es, was es verspricht. Es ist stabil.
Doch mein Leben ist mittlerweile ein anderes als vor der Diagnose. Ich bekomme Erwerbsminderungsrente weil die Therapien Nebenwirkungen wie Fatigue (chronische Müdigkeit), Lymphödem in den Beinen, Depression, chronische Schmerzen und Bluthochdruck verursachen.
Doch das Wichtigste ist, dass ich am Leben bin. Meinen Sohn aufwachsen sehen kann, mein Leben mit meiner Familie genießen kann.